Partizipative Forschung: ‚Was wir brauchen. Eine Wunschliste aus der Sicht eines Kinder- und Jugendtheaters‘

Dieser Artikel beruht auf einem Redebeitrag der Autorin im Rahmen der Konferenz „Forschung im Theater für junges Publikum“ in Hamburg im November 2022.

Was brauchen wir, um Kindern und Jugendlichen einen Zugang zum Theater zu ermöglichen? Wie verändert Forschung unsere Strukturen und Ressourcen, welchem Arbeitsverständnis und welcher Selbstverortung entspringt sie?

Grundsätzliche Ausrichtung sowie gesellschaftlicher Auftrag von Theatern für junges Publikum ist gemeinhin die Gestaltung eines Programms, eines Spielplans, das dem Zielpublikum den Vorstellungsbesuch von Inszenierungen, mittlerweile auch häufig in einer Rahmung von theaterpädagogischer Begleitung ermöglicht. Der Ansatz, Forschung im Kinder- und Jugendtheater zu betreiben, geht weit darüber hinaus; er verändert Inhalte, Kommunikationsformen, Verständnisse von künstlerischer Produktion und Rezeption und folglich die Bedarfe und Ressourcen in den Strukturen von Theaterhäusern. Er spiegelt eine andere Verortung dieser Orte in ihrem Umfeld wider. Auch wenn das Forschungstheater Hamburg dasForschen allerzum Programm gemacht hat, an vielen anderen Orten gemeinsam geforscht und partizipativ Kunst gemacht wird, sind die strukturellen Voraussetzungen für diese Arbeit zu wenig bekannt, noch gibt es ausreichende Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten, die Voraussetzung sind, um diese Arbeit machen zu können.

Im folgenden Beitrag sind hierzu Aspekte aus der Sicht eines Theaters für junges Publikum, dem FELD-Theater in Berlin, wie aus meiner eigenen künstlerisch-forschenden Praxis stichwortartig zusammengetragen. Sie münden in je abgeleitete Forderungen für die Arbeitspraxis, verknüpft mit der Hoffnung, dass sie in naher Zukunft Umsetzungsmöglichkeiten finden werden.

Sie bilden eine erste Wunschliste, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und dem weiteren Diskurs über Forschung im Kinder-und Jugendtheater dienlich sein soll; sie kann zukünftig differenziert und erweitert werden.

JETZT

Räume

Forschendes Theater geht aus der Black Box eines Theaterhauses hinaus, hinein in die Nachbarschaft, in Schulen, in Kitas, in Senior*innenheime, die Jugendzentren, Stadtteilcafés usw. Künstler*innen suchen Menschen unterschiedlichsten Alters an den Orten auf, an denen sie leben. Forschendes Theater öffnet die Theater, vernetzt sie, bringt sie mit Menschen in Kontakt, die in ihrem Alltag vielleicht wenig an Kunst und Kultur teilhaben. Manchmal, aber nicht immer, kommen sie wieder zurück in das Theater.

→ Es braucht Orte außerhalb der Theater, an denen diese Arbeit verankert werden kann. Wir brauchen Räume als Orte für Versammlung.

Zeit

Forschendes Theater zielt nicht allein auf die Produktion von Stücken, die geprobt und aufgeführt werden im Sinne einer Spielplanlogik. Die Arbeit ist vielmehr am Prozess orientiert, an dem gemeinsamen Austausch von Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Expert*innen des Alltags, der Zeit braucht, um etabliert und durchgeführt werden zu können. Forschende Praxis verweigert sich einer Verwertungslogik, vertraut auf die Prozesse und deren Entwicklung mit offenem Ausgang bzw. einem (vorläufigen) Ergebnis, das wieder zu einer neuen Frage führen kann.

→ Es braucht auf der Ebene der Öffentlichkeitsarbeit Mittel und Methoden, die diese Prozesse sichtbar machen. Dafür benötigt es Fördertools, die weggehen vom Projekt-Hopping und Produktionslogik hin zu einem umfassenderen Verständnis des künstlerischen und forschenden Arbeitens mit Kindern, das auf Nachhaltigkeit und der Verwebung von Prozess und Produktion von künstlerischer Arbeit zielt.

Wissen, Kompetenzen und Ressourcen

Im Forschenden Theater wird nicht lediglich ein Produkt vom Besucherservice an die Konsumenten verkauft oder von Theaterpädagog*innen in Vor- und Nachbereitungen erläutert. Vielmehr müssen Kontakte zum Umfeld koordiniert, gepflegt, aufrechterhalten und immer wieder neu verhandelt werden. Das setzt im hohen Maße Kenntnisse über die diversen Zusammensetzungen unserer Gesellschaft voraus wie auch kommunikative Grundfähigkeiten und fachliches Wissen über das Arbeiten im ’nicht-künstlerischen Umfeld‘ außerhalb der Theater.

→ Es braucht eine grundlegend andere, den Bedarfen angemessene personelle Ausstattung. Es benötigt entschieden eine größere Offenheit in den Ausbildungskonzepten, die den Nachwuchs dazu befähigt, in diesem Arbeitsfeld agieren zu können.

GRUNDLEGEND

Kulturpolitik

Es braucht völlig andere Budgets für unsere Arbeit. Forschen im Kinder- und Jugendtheater ist wie auch die künstlerische Arbeit in diesem Feld Arbeit. Sie sollte als solche anerkannt und fair bezahlt werden.

Es braucht ein kulturpolitisches Verständnis für die Komplexität unserer Arbeit sowie deren Anerkennung und Unterstützung.

Gerade hierfür benötigt es eine qualitative Forschung, die forschende Arbeit befragt, die ihr Potential darlegt, ihre Mängel begutachtet und darüber hinaus impulsgebender Bestandteil der Weiterentwicklung forschender Praxis wird.

ZUKUNFT

Aus- und Aufbau von Methodiken und Themen

Forschende Praxis ist transdisziplinär. Für die weitere Entwicklung der Forschung im Kinder- und Jugendtheater brauchen wir:

eine verstärkte Öffnung hin zu anderen künstlerischen Disziplinen und den Austausch mit Kolleg*innen. Insbesondere im Tanz sind andere forschende Ansätze entstanden. Sie ermöglichen die Reflexion von anderen Wissensformen und deren Generierung wie von Praktiken wie z.B. Community Dance/Community Building.

eine verstärkte Begegnung und Auseinandersetzung mit Kolleg*innen, deren Perspektiven z.B. aufgrund einer Behinderung oder von Alter marginalisiert sind. Die Auseinandersetzung mit Inklusion und Equity muss eine (größere) Rolle in der weiteren Entwicklung von Forschung spielen.

Es gilt Plätze frei zu machen sowie Deutungshoheit und Macht abzugeben; genau das kann gemeinsame forschende Praxis.

Zum Netzwerk Forschung im Kinder- und Jugendtheater: Hier

PERSPEKTIVE KUNST Kritische Anmerkungen zur Allianz von Kunst, Bildung und Kindern

Kritische Anmerkungen zur Allianz von Kunst, Bildung und Kindern

Kulturelle Bildung ist für viele Künstler_innen ein rotes Tuch. Ganz praktisch gesehen fürchten etliche, dass sie die Arbeit in Projekten der Kulturellen Bildung von ihrem ‚eigentlichen‘ künstlerischen Schaffen abhält, oder dass sie einem ominösen Monster dienen, welches mit Vielem zu tun hat, nur nicht mit Kunst. Hinter dieser Abwehr verbirgt sich jedoch auch das Postulat der Künstler_innen nach einem Zugeständnis der Autonomie von Kunst und der Zweckfreiheit des Kunstschaffens. Dieser Forderung wird im gleichen Atemzug immer auch der Zweifel an der gesellschaftlichen Relevanz von freier Kunst entgegengehalten. Eine Debatte über die Frage, was Kunst und Kulturelle Bildung miteinander zu tun haben, welche Qualitätskriterien von der Kunst aus in diesem Diskurs benannt werden und wie sich Künstler_innen mit welchen Mitteln selbst verorten könnten, tut not.

… nicht von der Kunst her gedacht.

Unschärfe des Begriffs Kulturelle Bildung

Der Begriff Kulturelle Bildung ist unscharf, er ist ein „Containerbegriff“ (Bockhorst/Reinwand/Zacharias 2012). In ihm versammeln sich diverse Vorstellungen, und er umfasst das gesamte Feld der Schnittmenge von Kultur und Bildung: „Kulturelle Bildung (meint) einerseits den subjektiven Bildungsprozess jedes einzelnen wie auch die Strukturen eines Bildungsfeldes mit seinen zahlreichen Angeboten.“ (ebd, a.a.O.) Die Spannbreite dieser Angebote erstreckt sich von Projekten, die zu Ausbildungszwecken durchgeführt werden wie das DM – Programm Abenteuer Kultur, über Projekte, die in die Kategorie audience development gehören bis hin zu Inszenierungen mit Kindern oder Jugendlichen, die in die Spielpläne aufgenommen werden. Oftmals werden auch professionelle Produktionen für junges Publikum der Kulturellen Bildung zugeordnet.

Instrumentelles Qualitätsverständnis von künstlerischer Arbeit

Leistungsanforderungen, die an die Durchführung von Kulturellen Bildungsprojekten gestellt werden, und auch Projektauswertungen zielen zumeist auf Qualitäten, die nicht-künstlerischen Begründungszusammenhängen entspringen. So setzen sie z.B. auf die sozialen Kompetenzen der Teilnehmenden, deren Team- und Kommunikationsfähigkeit gestärkt und deren interkulturellen Kompetenzen trainiert werden sollen Diese Aspekte wechseln, sie tauchen zu bestimmten Zeiten auf und sind für bestimmte Zwecke dienlich, sie entsprechen solchen, die im öffentlichen Diskurs jeweils brisant sind und: sie nehmen stetig zu. Die Professorin der Theaterpädagogik Ulrike Hentschel spricht hier kritisch vom „Theater als Kompetenztrainer.“ (Hentschel 2008)

Die Unschärfe des Begriffes Kulturelle Bildung wie auch die Legitimierung der Arbeit aus nicht-künstlerischen Begründungszusammenhängen führen zu völlig überbordenden Erwartungen von dem was ein_e Künstler_in mit ihrer / seiner Arbeit leisten soll und kann. Sie führen auch zu einem rein instrumentellen Qualitätsverständnis von Kunst. Die Verwertbarkeit und Brauchbarkeit von Erfolgen, Erreichtem und Nachweisbarem für außer-künstlerische Zwecke stehen an allererster Stelle.

… von der Kunst her gedacht! Kunst als inhaltlicher Bezugsrahmen.

Künstlerisches Wissen bildet allerdings das Fundament für künstlerische Vermittlung und ist Voraussetzung für das Gelingen von Projekten in der Kulturellen Bildung. Die Künste selbst müssten den inhaltlichen Bezugsrahmen darstellen: „Daraus können Qualitätsmerkmale hervorgehen, die über ein rein instrumentelles Qualitätsverständnis hinausreichen.“ (Rat Kulturelle Bildung 2014)

In diesem Diskurs über die Künste als inhaltlicher Bezugsrahmen sollten Künstler_innen das Potential und die Grenzen ihrer Arbeit erforschen, beschreiben und formulieren. Durch einen gemeinsamen Verständigungsprozess sollten Klarheit und Trennschärfe zu anderen nicht-künstlerischen Diskursen hervorgebracht werden. An aller erster Stelle sollten hier zwei klare Formulierungen stehen:

– jedwede (zweckfreie) Bereitstellung einer Möglichkeit zu künstlerischem Schaffen ist bereits ein Wert für sich,

– ästhetische Erfahrungen und künstlerische Schaffen(-sprozesse) von Menschen folgen der Gesetzlichkeit der Eigenzeit, die sich sich der direkten Verwertung, einem Vorher-Nachher-Schema entziehen.

… von der Kunst her gedacht? Vom Kind her gedacht.

Kunstschaffen als Vermittlungsprozess

Kunst ist kein naturwüchsiger Zustand. Ihre Zeichensetzungen, Symbolisierungen, Verdichtungen, Materialien etc. sind komplex. Sie müssen kennengelernt und erlernt werden. Kunst mit Kindern ist immer auch ein Vermittlungsprozess. Sie ist eine Mediation vom Erwachsenen in Richtung Kind. „… der Ansatz der künstlerischen Arbeit mit den Schülern ist derselbe wie mit Profis, aber die Kommunikation darüber muss eine andere sein.“ (Wiebke Dröge in: Leitfaden Bundesverband Tanz in Schulen o.J.)

Urbegabung Künstler_in

Künstler_innen haben oft einen unmittelbaren und nicht-strategischen Zugang zu Heranwachsenden. Aber sie sind nicht automatisch pädagogische Urbegabungen. „Die generelle Unterstellung einer pädagogischen Genialität der Künstler führt letztlich nur dazu, dass über deren erzieherisches Handeln nicht weiter nachgedacht wird.“ (Rat Kulturelle Bildung 2013)

Asymmetrisches Verhältnis

Erwachsene und Kinder befinden sich immer in einem asymmetrischen (Macht-)Verhältnis zueinander.

Auch in der Perspektive Kunst muss einem Nachdenken über Qualitätskriterien in der Arbeit mit Heranwachsenden sowohl die kritische Selbstreflektion der eigenen Position als Erwachsener in Relation zum Kind / Jugendlichen einhergehen wie auch die Reflektion der Relevanz von Strategien der Selbstermächtigung und von Selbstbildungsprozessen der beteiligten (Kinder oder Jugendlichen). Die pädagogische Bedeutung künstlerischer Prozesse für Kinder und das Vermögen künstlerisches Handeln in pädagogischen Prozessen produktiv zu machen, sind wertvolle Kenntnisse für eine tatsächliche Begegnung von (erwachsenen) Künstler_innen und Heranwachsenden auf Augenhöhe.

… von der Kunst her gedacht! 5 Thesen zu möglichen Qualitätskriterien aus der Perspektive Kunst

Theater Kunst Bildung I: Kunst hat mit Freiheit und (freiem) Spiel zu tun. Sie kreiert Frei-Räume.

In zahlreichen zeitgenössischen Inszenierungen für Kinder wie in Le jardin possible (1+) von Benoit Sicat gestalten Künstler_innen einen Rahmen, in denen Kinder selbstbestimmt Theater erleben können.

Diesem Prinzip folgt auch das mit Kindern realisierte Projekt leaf duett von Henrik Leban und Kaja Lindal. Ihre Beobachtung, dass das Leben von Kindern durch viele Regeln bestimmt wird, initiierte den Wunsch, einen Rahmen zu kreieren, in dem Kinder ‚einfach nur‘ spielen können – das Ergebnis ist ein intelligentes Setting, eine multimediale Performance, in dem Kinder als Zuschauer_innen und Teilnehmer_innen agieren. Das Basisprinzip besteht aus vorproduziertem Videomaterial und aus einer Live-Video-Übertragung, bei der Kinder entdecken, dass Tanzen in Blättern ein Gefühl von Freiheit sowie Energie und Begeisterung hervorruft.

Ab Minute 10

Mit dieser künstlerischen Strategie schaffen Künstler_innen einen Rahmen, in dem Kinder Kunst selbstbestimmt erleben, eigenen Erfindungen und eigenen Empfindungen nachgehen können. So eröffnen sie auf spielerische Weise und mit Spiel(-en) Freiräume. Auf diese Weise ermöglichen sie ein gemeinschaftliches Erleben, in dem sie zugleich dem individuellen, eigenen Erleben Raum geben. Es entsteht ein Frei-Raum.

Theater Kunst Bildung II: Theater ist ein besonderer Raum für Kommunikation. Es schafft partizipative Räume.

Theater ist die Kunst der Begegnung von Menschen. Menschen kommen an einem Ort zusammen, um gemeinsam mit anderen etwas zu teilen. Theater ist geteilte Erfahrung und Kommunikation. Erst die körperliche, gleichzeitige Anwesenheit von Akteuren und Zuschauer_innen konstituiert eine Aufführung. Sie ereignet sich zwischen den Anwesenden und wird von ihnen gemeinsam hervorgebracht. (vgl. Fischer-Lichte) Jugendliche heute sind Co-Creators. Sie erfinden, inszenieren und kommentieren sich selbst. Nicht erst seitdem interaktive Medien die alltägliche Kommunikation prägen. Kinder wiederum sind im Spiel schon immer Schöpfer. „Zeitgenössische Theaterformen für junges Publikum begreifen die Zuschauenden als aktiv Teilnehmende an einem künstlerischen Ereignis“ (Droste/Burgschuld 2014) und entwickeln partizipative künstlerische Strategien.

Theater Kunst Bildung III: Kunst hat mit Forschung zu tun. Sie kreiert utopische Räume.

Die zeitgenössische Kunst hat sich längst wegentwickelt von der reinen Präsentation von Ergebnissen. Kunst ist zur Werkstatt geworden, zum Laboratorium. Prozesse und (künstlerische) Forschung sind elementare Bestandteile des heutigen Kunstverständnisses. Forschung und Welterkundung stellen im besonderen Maße eine korrespondierende Ebene zwischen der Art und Weise wie Kinder ihre Umwelt wahrnehmen und entdecken und künstlerischen Strategien her.

Im Forschungstheater am Fundustheater arbeiten die Künstler_innen „mit szenischem Verfahren, weil wir glauben, dass sie Brücken bauen können zwischen alltäglichem Forschen, auch kindlichem Forschen und dem was wir so normalerweise so Forschung zu nennen gewöhnt sind.“ (Sibylle Peters) Forschen zielt auf das Erforschen und Begreifen von gegebenen Zusammenhängen. Es impliziert aber auch das Ausloten von neuen Konstellationen, (noch) nicht Gedachtem und die Erfindung von Neuem. Forschung sind Zukunft und Utopisches eingeschrieben.

Theater Kunst Bildung IV: Theater hat mit Öffentlichkeit / Gesellschaft zu tun. Es erzeugt alternative Räume.

Beim BrachenBrunch sammeln Schüler_innen in einer Brache Müll, den sie zu Skulpturen formen, Flora und Fauna finden Eingang in eine Biokartei, Brotdosen werden Teil eines sozialen Diagramms. Aus den Aktionen kreieren sie gemeinsam mit dem Kulturingenieur Felix Liebig eine Performance.

 

Theater ist ein Ort der Gesellschaft in der Gesellschaft, an dem sich in Gesellschaft über Gesellschaft ästhetisch reflektieren lässt. …“ so brachte es der Dramaturg Ulf Schmidt in seinem Vortrag beim Branchentreffen der Freien Szene in Berlin letzten Jahres auf den Punkt. Oder wie es Hans-Thies Lehmann ausdrückte: „Ein Ort der Versammlung, dem das Politische strukturell eingeschrieben ist.“ (Lehmann 2002)

Als Sinnbild hierfür sei das kitchenmonument von raumlabor.berlin genannt: eine aufblasbare Hülle aus transparentem Material, in der Versammlungen stattfinden können. Hier wie auch beim BrachenBrunch transformieren die Beteiligten mit ihrer Intervention einen realen, öffentlichen Raum in einen anderen. Sie entwerfen damit Räume der Unterbrechung (Kristin Westphal) und andere (öffentliche) Orte.

Theater Kunst Bildung V: Kunst / freies Theater hat mit Arbeitsstrukturen zu tun. Es arbeitet mit Räumen der Autonomie.

Eine herausragende Besonderheit der Arbeitsstrukturen im Freien Theater sind die flachen Hierarchien und das Arbeiten in kollektiven Strukturen. Selbstwirksamkeit und Empowerment spielen dabei eine wesentliche Rolle.

In Projekten wie Haircuts by children von Darren O’Donnel wird das Machtverhältnis von Erwachsenen und Kindern auf den Kopf gestellt. In The Children’s Choice Awards bei der Ruhrtriennale 2014 werden Kinder ermächtigt, (Jury-)Postionen einzunehmen. Sie sind gefragt, ihre Beurteilungen öffentlich zu äußern. Diese Projekte thematisieren und anerkennen den generationalen Unterschied zwischen Erwachsenem und Kind.

… von der Kunst her gedacht. Von Künstler_innen.

Will Kunst sich aus der Umklammerung durch das ‚ominöse Monster‘ befreien, will sie ein Ort sein, der zweckfrei ist, der Frei-Raum bietet, utopische Ansätze und andere Orte reflektiert, noch nicht Gedachtem Raum geben will – auch und gerade zusammen mit Kindern und Jugendlichen – dann müssen Künstler_innen ihre Deutungshoheit über Inhalte und über Kunst in der Kulturellen Bildung wieder an sich nehmen. Sie müssen (sich) Fragen stellen wie Frei-Räume und Neues entstehen oder was wir tatsächlich in einer Probe auf die Probe stellen – Fiktion? Realität? Es gäbe viele Fragen.

Dabei müsste auch das Wie? der Erforschung geklärt und kunsteigene Wege ausgelotet werden. In den Künsten hat sich eine Vielzahl neuer Strategien der Wissensgenerierung wie kollaborative Formate, lebendige Archive, dokumentarische Performances etc. entwickelt. Künstlerisch ausgerichtete Verfahren wie z.B. künstlerische (Forschungs-)Labore sind mögliche Formate. Sie sind in besonderem Maße geeignet die in den Projekten der Kulturellen Bildung gemachten Erfahrungen, inkorporiertes künstlerisches Wissen zum Vorschein zu bringen. Performative research unterliegt einer Wirklichkeit, die sich „auf der Basis präsentativer Symbole herausbildet“ (Seitz). Das Wissen, das sich hier kundtut, ist eines, das in der Praxis liegt, sich als Praxis und in der Praxis zeigt. Es ist an Handlung gebunden und nicht an einen abstrakten Diskurs.

© Gabi dan Droste, Juni 2015

Dieser Text ist im Auftrag des Bundesverbandes Freie Darstellende Künste entstanden, er erschien in einer gekürzten Fassung in: neue realitäten. Jahrbuch des Bundesverband Freie Darstellende Künste 2014/15. Hg. v. Bundesverband Freie Darstellende Künste e.V. Berlin 2015. Geheftet, 56 Seiten. (ISBN 978-3-935486-21-7) Heft bestellen hier