ZEITGENÖSSISCHER TANZ FÜR JUNGES PUBLIKUM. Positionen, Räume und Perspektiven

Der zeitgenössische junge Tanz ist ein sehr junges Phänomen in Deutschland. War er bislang eher eine Randerscheinung in der Landschaft der darstellenden Künste, so entfaltet er sich derzeit rasch. Indikatoren hierfür sind die Veränderungen der Festi- vallandschaft in den letzten fünf Jahren: Im Jahr 2016 präsentierte das Internationale Tanz- und Performance-Festival für junges Publikum Think Big in München bereits seine fünfte Ausgabe, es gab erstmalig das Festival Zig Zag- Neuer Tanz für junges Publikum in Potsdam und Auf dem Sprung – Junger Tanz im Dialog in Aachen. In Berlin bringen die Berliner Festspiele beim Tanztreffen der Jugend seit 2014 jährlich eine Woche lang sieben Tanzgruppen aus Deutschland zusammen. Diese Veranstaltungen sind gegenwärtig Ergebnis einer lebendigen Tanzszene, die im Aufbruch ist, den Jungen Tanz zu entdecken.

Choreograf_innen und Tänzer_innen in Deutschland arbeiten zumeist freischaffend in oft wechselnden Konstellationen, verschiedenen Projekten, mal als Einzelkünstler_innen, mal in längerfristigen Liaisons. Um produzieren, experimentieren, die eigene künstlerische Handschrift und den zeitgenössischen Tanz (weiter-)entwickeln zu kön- nen, brauchen Künstler_innen Orte und Räume, Partner und Projekte.

ENTWICKLUNGSMOTOR: PROJEKTE

Ein Grundpfeiler für den heutigen Stand der Entwicklung war die bundesweite Initiative der Kulturstiftung des Bundes Tanzplan Deutschland (2005–2010), in der fast alle Akteure und Institutionen der professionellen Tanz-Szene beteiligt waren mit dem Ziel, die Rahmenbedingungen für den Tanz und seine öffentliche und kulturpolitische Wahrnehmung als Kunstform zu verbessern. Dabei verfolgte Düsseldorf mit dem Projekt Take-off: Junger Tanz ein Gesamtkonzept zur Erforschung und Entwicklung der künst- lerisch qualifizierten Vermittlung von Tanzkunst an Kinder und Jugendliche in der Stadt wie im Land. Das EU-Projekt Fresh Tracks – New artistic identities (2011-2013), bei dem u.a. auch das Düsseldorfer Tanzhaus NRW Projektpartner war, fokussierte die Förderung von Künstlerpersönlichkeiten. Viele der in diesem Projekt eingebundene Künstler_innen prägen auch heute noch die bundesweite Tanzlandschaft, Nordrhein- Westfalen ist heute beispiellos das vitalste Bundesland im jungen Tanz. Bundesweit aber sind es vereinzelte Produktionshäuser der Freien Szene wie das K3 in Hamburg, der Mousonturm in Frankfurt und die tanzfabrik Potsdam, an denen der künstlerische Tanz, wie auch die Performance Arts, entwickelt werden, oder Kinder- und Jugendtheaterhäuser wie der schnawwl Nationaltheater Mannheim, Comedia Theater in Köln und das JES in Stuttgart, die Choreographen ihre Türen öffnen, und nicht zuletzt Einzel- Projekte wie TanzSpielZeit in Berlin, das in der letzten Spielzeit erstmals eine Reihe von Auftragsarbeiten an 10 Choreographen für kurze Stücke zum Thema ‚Beruf: Tanz‘ vergab.

ENTWICKLUNGSMOTOR: PARTIZIPATIVE TANZPROJEKTE

Die anderen Entwicklungsmotoren in den letzten zehn Jahren waren partizipative Tanzprojekte von Kindern und Jugendlichen. Jugendliche suchen in ihrer Freizeit zumeist die Anbieter im außerschulischen Bereich auf; der zeitgenössische Tanz wird derzeit hier weiterentwickelt. Der Tanz von Kindern hingegen hat sich an manchen Orten in Deutschland als fester Bestandteil im schulischen Angebot des offenen Ganz- tagsbetriebes etabliert. Bundesweite Programme wie Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung fördern partizipative Tanzprojekte in den letzten Jahren sehr stark in der Fläche. Sie unterstützen ihn als Breitenphänomen mit dem Anspruch, Heranwach- sende mit sogenanntem bildungsfernen Hintergrund kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Projekte wie z.B. TanzZeit in Berlin, Tanz und Schule in München oder Tanzlabor 21 in Frankfurt a. M. bringen professionelle Künstler_innen in Schulen, wo sie mit Schüler_innen in Vermittlungsprojekten arbeiten. So werden Zugänge geschaffen und Menschen einbezogen, die ihren Weg ins Theater nicht unbedingt von sich aus suchen würden. Tanz wird hier als Mittel des eigenen kreativen Ausdrucks verstanden, im Pro- zess erlebbar gemacht und aber auch als besondere Kunstform vermittelt.

STREIFZÜGE

Die künstlerischen Handschriften im Tanz für junges Publikum sind individuell und sehr vielfältig. Gemeinsam haben sie: Sie sind Stückentwicklungen, sie verstehen sich als Kunst für Kinder, die nicht belehren will, sondern offen und manchmal frech einlädt zuzuschauen, mitzumachen, sich zu wundern oder nachdenklich sein zu dürfen oder sich zu positionieren. Im Folgenden umreiße ich drei Tendenzen grob.

Der Tanz für die Allerjüngsten ist ein künstlerisch gewachsener Strang des Theaters von Anfang an mit verschiedenen Spielarten. Barbara Fuchs (fanzfuchs) setzt den Körper spielerisch, ja fast objekthaft in ihren Arbeiten ein, in „MAMPF!“ (2012, 0-4) balan- cieren zwei Tänzerinnen ein Ei auf dem Fuß und matschen mit Butter und Mehl. Florian Bilbao inszenierte das Stück „fliegen&fallen“ (2015, 2+) zum Phänomen Schwerelosigkeit und Erdanziehung als körperlichen Dialog mit einem aufblasbaren Raumobjekt des Luftobjektkünstlers Frank Fierke. Ceren Oran setzt das universelle künstlerische Vokabular des Soundpaintings für ihre Arbeit mit Musik und Bewegung ein, „Sag mal“ (2015, 2+) ist ein Stück über Sprache und Kommunikation ohne Worte.

Site-Specific performances sind (noch) selten, eine künstlerische Herangehens- weise in Bezug auf die Partizipation von Zuschauer_innen muss erfunden werden. In „Mannheimification“ (2015, 8+) hat der schnawwl in Kooperation mit La_Trottier Dance Collective eine eigene Version von „MURKAMIFICATION“ (2012 8+) von Eric Kaeil geschaffen, bei der Performer Häuserwände hochklettern und Häuserspalten mit ihren Körpern füllen. Ein gemeinsamer Gang durchs Viertel wird zur Performance. Im Berliner Tanzparcour „¡OUR PARK!“ (2015, 13+) verknüpft Lorca Renoux die verschiedenen Ortswechsel dabei thematisch mit einer steten unerwarteten Änderung der Perspektive und von Gefühlen. Das private Appartement einer Familie ist hingegen Ort für die Performance „ATO“ (2007, 6-10) von Alfredo Zinola für Kinder und Familien.

Eine Reihe von Arbeiten bringen Themen in Bewegung. Dabei stehen aktuell politische Topoi im Zentrum, die verhandelt werden. Die Tanzperformance „Rock wie Hose“ (2016, 5+) von Celestine Hennermann hinterfragt spielerisch stereotype Geschlechterzuschreibungen und wirbelt sie dabei durcheinander. In „TRASHedy“ (2012, 8+), ein Stück über das Thema Müll und Globalisierung von Leandro Kees, erklären, erzählen, fantasieren, fragen, bewegen, zeigen und zeichnen die beiden Tänzer, die von sich in der eigenen Person sprechen. Silke Z thematisiert in „Like a popsong“ (2015,13+) den Wunsch nach Popularität und Beliebtheit; dabei arbeiten jugendliche ‚Laien‘ und Profis an den Grenzen der Preisgabe von Persönlichem auf der Bühne als öffentlicher Ort.

Eine andere Erzählstrategie verfolgen Stücke wie „Ich bin’s, deine Schwestern“ (2016, 5+) von Martin Nachbar und Gabi dan Droste, die grundsätzliche Themen wie Geschwister bearbeiten; sie vertanzen sie nicht als Geschichte, sondern bringen verschiedene Geschwisterkonstellationen auf die Bühne und untersuchen so das Wechselspiel von geschwisterlicher Nähe und Konkurrenz, Schutz und Distanz, Liebe und Kampf. Franziska Henschel geht in „fühlende fische“ (2015, 5+) der Frage nach, wie und wo sich ein Gefühl, im gesamten Körper lokalisieren lässt und mit „Nimmer“ (2014) geht Antje Pfundtner dem Verschwinden und Erscheinen auf die Spur. Diese Arbeiten erzeugen offene, nicht-lineare Erzählstrukturen für eigene Interpretationen.

Die Zukunft des Jungen Tanzes? Zwei Thesen

Junge Künstler_innen heute verfügen über eine Freiheit in gesetzten Mitteln und Tech- niken. Aktuelle Entwicklungen in der Tanzszene zeigen die Nähe des zeitgenössischen Tanzes zu den Live und Performance Arts, die Verwendung von Forschungs- formen, Kampfsportarten, somatischen Methoden und Techniken wie Contact oder Yoga. Diese Trends haben in der Ausbildung einen hohen Stellenwert wie auch in den Szenen der Großstädte wie Frankfurt, Hamburg und Berlin, in die junge Menschen aus Europa und der ganzen Welt strömen. Langfristig werden diese Trends auch die Tanzkunst für junges Publikum verändern.

Heranwachsende heute sind Co-Creators. Sie erfinden, inszenieren und kommentie- ren sich selbst, ihre Rezeptions- und Produktionsweisen verändern sich grundlegend. Am Tanzhaus NRW wird derzeit mit dem für die deutsche Szene neuartigen Projekt Cliffdancers untersucht inwieweit die filmische Narrationstechnik des Cliffhangers geeignet ist, um auf ihrer Basis zeitgenössische Tanzperformances für ein junges Publi- kum zu entwickeln. Düsseldorfer Schüler_innen kreieren gemeinsam mit einem Team von Choreografen und Tänzern, Wissenschaftlern und Medienkünstlern, Bloggern und Gamedesignern eine Fan Fiction, die sie in von ihnen genutzten Plattformen und Me- dien mittels Snap-Chats, Instagram-Aktionen oder YouTube-Tutorials verbreiten. Ihre Ergebnisse präsentieren sie im Rahmen der Bühnenpremiere.

Zukunftsweisende Entwicklungen. Inspiration erhielten die darstellenden Künste für junges Publikum aus der Begegnung und Auseinandersetzung mit Kindern, Jugendli- chen und jungen Erwachsenen, das machen sie noch immer.

© Gabi dan Droste

Der Text ist in englischer Sprache erschienen in IXYPSILONZETT Magazin für Kinder- und Jugendtheater, Heft 1, 2017. IXYPSILONZETT ist eine Veröffentlichung im Verlag Theater der Zeit.

Published by gabidandroste